VIVALDI RECOMPOSED – KANN KLASSIK MODERN KLINGEN?

Der Komponist Max Richter hat in der Reihe „Recomposed“ der Deutschen Grammophone  Vivaldis „Vier Jahreszeiten“ zerlegt und die Einzelteile neu zusammengesetzt.

Jeder musste sich bestimmt (und wenn es nur in der Schulzeit war) schon mal durch ein klassisches Konzert quälen und die Erfahrung machen, dass man nach einem ewig langen Stück denkt, dass nun (endlich!) der Schluss gekommen ist, bevor das Orchester noch gefühlte 100 Wendungen schlägt, ehe dann tatsächlich der Schlussakkord erklingt. Oder man hat diese eine Stelle in einem Stück, die einem gefällt. Nur die 20 Minuten davor und danach sind nicht unbedingt der Hit.

So oder so ähnlich muss es auch dem Komponisten Max Richter ergangen sein. Doch er hat eine Lösung für dieses Problem gefunden. Im Rahmen der „Recomposed“-Reihe der Deutschen Grammophon hat er sich Vivaldis „Vier Jahreszeiten“ vorgenommen und aus dem vorhandenen Material neu komponiert. Dabei hat er nach eigener Aussage ca. 3/4 des ursprünglichen von Vivaldi geschriebenen Materials weggelassen. Man könnte also auch sagen, dass er das Stück „entrümpelt“ hat. Dennoch ist es ihm gelungen den bekannten Gestus und die Leitmotive des Originals zu erhalten.

Richter, der unter anderem Filmmusik schreibt (zum Beispiel für Martin Scorseses Shutter Island) und viel im Bereich von Elektronica und Techno unterwegs war (beispielsweise mit Future Sound of London) hat sich dafür seine Lieblingspassagen des Originals rausgesucht und diese quasi auf „repeat“ gestellt. Dadurch klingt „sein“ Vivaldi stellenweise sehr modern, ja manchmal sogar wie gesamplete/geloopte Musik. Hier hört man sehr deutlich seine Erfahrung mit minimal music und Electronic heraus. An anderen Stellen bewegt er sich sehr dicht am Original. Gerade diese Mischung macht die CD so interessant. Jeder kennt ein bisschen des Materials, wie zum Beispiel die Melodien des Frühlings und Sommers. Beim Zuhören freut man sich dann, wenn einem diese „alten Bekannten“ begegnen und umso mehr, wenn Richter diese dann mehrfach hintereinander reiht und so diese Passagen „verstärkt“. Mal schälen sie sich aber auch langsam aus sphärischen Klängen heraus, an anderen Stellen wird eine Sequenz geloopt aber mit neuen Begleitungen versehen oder die Melodie bekommt einen völlig neuen Rhythmus. Ständig fragt man sich, was hinter der nächsten Ecke auf einen wartet und ob das im Original auch so klingt. Man ist gar versucht, gleich nach dem Hören eine der zahlreichen Einspielungen des Originals zum Vergleich einzulegen.

Richter selbst sagt, dass er sich durch seine Umsetzung quasi mit Vivaldi unterhält. Und wie bei einer guten Talkshow, macht es Spaß diese Unterhaltung als Zuhörer zu verfolgen. Richter gelingt es, Vivaldi in unsere Zeit zu bringen, ohne dass er ihn bis zur Unkenntlichkeit bearbeitet. Vielmehr wirkt der Vivaldi nun aufgeräumt und unterhaltsamer/moderner inszeniert. Am ehesten kann man das vielleicht mit der Entwicklung bei Filmen vergleichen. Wurde früher sehr langsam erzählt ist auch dort das Tempo heute deutlich höher zum Beispiel durch schnellere Schnitte. Ähnlich macht es Richter teilweise mit Vivaldi. Überraschend ist dabei, wie gut sich das Original hierfür eignet, da Vivaldi selbst mit vielen repetitiven Elementen gearbeitet hat.

Wer sich ein bisschen für Klassik interessiert, aber ganze Stücke bisher zu dröge empfand, kommt hier auf seine Kosten und wird gut unterhalten. Am besten natürlich auf einer großen Anlage, die das Orchester und den vollen Klang in guter Lautstärke wiedergeben kann. Und wenn man danach Lust hat, sich doch mal wieder an ein Stück Klassik in voller Länge zu wagen, hat Max Richter sein Ziel mehr als erreicht.

Kommentar hinterlassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.