ES SPRICHT!

Was ein bisschen klingt, wie eine Drohung, war Anfang der 90er der Werbeslogan auf einer verdächtig rosafarbenen Spielverpackung, die damals rechtzeitig vor Weihnachten auf den Markt kam. Ununterbrochen in der Werbung gezeigt, hatte das gemeine Kind mit Hang zu coolem Spielzeug quasi keine andere Wahl, als Electronic Shopping Center auf seinen Wunschzettel zu schreiben. „Was willst Du mit so’nem Quatsch?“ Die Standardfrage aller Eltern. Tendenziell gerechtfertigt, dabei hatten sie doch noch gar keine Ahnung, was die Anschaffung dieser erzieherischen Katastrophe wirklich bedeuten würde.

Und dann war es so weit, der Tannenbaum stand, das Christkind kam und das riesige schachtelförmige Paket konnte nur eines bedeuten, einen Weihnachtsabend, dessen auditive Gestaltung weit haarsträubender werden sollte, als Oppa Hoppenstedts Radetzky Marsch es je war. Nach langem aber enthusiastischem Zusammenbau – ein zweigeschossiges Shopping-Center aus Plastik und Pappe musste erstmal mühevoll errichtet werden – stand es da, ein überdimensionales Spielfeld, für das der Adventskranz und der restliche Dekofirlefanz vom Tisch mussten.
Dann kam der große Moment, vier Batterien in das lila Plastikteil mit Lautsprecher und Schlitzen für die mitgelieferten Kreditkarten. – Jede fein säuberlich mit der Aufschrift „Dies ist keine Kreditkarte!“ versehen. Und während die Glocken aus dem Radio süßer nie klangen, krakelte plötzlich und ohne Vorwarnung eine 8-Bit-Kaufhausstimme in nie gehörter Intonation: „Hallo Blau! Hallo Rot! Schnäppchenjäger aufgepasst: Räumungsverkauf im Plattenladen und Sonderverkauf in der Drogerie und im Schuhgeschäft.“

An dieser Stelle war der bedächtige Weihnachtsabend vorbei. Die Familie verfluchte jetzt schon die Anschaffung und hoffte, dass der Spielspaß wie bei allen anderen überteuerten Plastikspielzeugen am zweiten Weihnachtstag bereits auf der Strecke bleiben würde. Fehlanzeige. Ziel des Spiels war es, möglichst schnell 6 bis 10 – je nach Variante – Dinge einzukaufen. Die Möglichkeiten dabei reichten vom Kassettenrekorder bis zum Hund. Sinnvoll war es möglichst preisgünstig zu shoppen, denn der Weg zur Bank ist lang und kostet Zeit. Zeit, in der die Gegnerinnen bereits einkaufen konnten.

Nach kürzester Zeit konnten alle Freundinnen und Hausbewohner jeden möglichen Satz der Kaufhausstimme auswendig. Drang die Stimme doch durch Mark, Bein und Wände. Außerdem war das Repertoire an Sätzen nicht besonders groß. All time favourite: „Blau, geh zur Toilette und schick einen Freund, wohin Du willst.“ Das war zwar doof, weil man auf der Toilette nichts kaufen konnte, aber im Gegenzug wurde ein Mitspieler möglichst weit weg versetzt, zum Beispiel auf den Parkplatz vor dem Center.

Womit damals niemand gerechnet hat, vermutlich die Leute von MB am aller wenigsten, ist die Tatsache, dass das Ding bis heute funktioniert. Wer auch immer vor 20 Jahren die Spielzüge, Bankauszahlungen und Angebotsdurchsagen dieser brettförmigen Konsumorgie eingesprochen hat, er ist heute immer noch zu hören. In derselben merkwürdigen Computer-Intonation mit denselben komischen Ansagen. Und wenn an verregneten Feiertagen das Heiligtum aus dem Kinderzimmer geholt wird – immer mit dem Kribbeln im Bauch, ob es wohl noch einmal angehen wird – hört man beim ersten Klang der Elektro-Stimme, wie die Mutter in der Küche das gleiche genervte Seufzen ausstößt, wie eh und je.

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